Von der doppelten Wahrnehmung zum räumlichen Bild: Binokularsehen

Das Binokularsehen ist eine der Grundvoraussetzungen für die räumliche Wahrnehmung. Dabei sind nicht nur das rechte und das linke Auge gefragt, sondern vor allem auch das Gehirn. Das steuert die Augenbewegungen und setzt die beiden unterschiedlichen Sinneseindrücke zu einem stimmigen Bild zusammen.

Was ist Binokularsehen?

Das Wort binokular bedeutet so viel wie beidäugig. Binokularsehen heißt daher schlicht, mit beiden Augen zu sehen. Das beidäugige Sehen setzt sich aus dem Monokularsehen des linken und des rechten Auges zusammen. Das ist wichtig, denn erst einmal nimmt jedes Auge für sich ein Bild wahr. Also sehen wir im Grunde genommen zwei Bilder mit jeweils minimal anderem Blickwinkel. Aus dieser Doppelsicht formt das Gehirn später ein einziges Bild. Das heißt, dass das Gehirn bei der Entstehung des fertigen Bildes ebenso beteiligt ist wie die beiden Augen. Binokularsehen ermöglicht die räumliche Wahrnehmung – und damit auch eine exakte Einschätzung von Entfernungen, was für zielgerichtete Bewegungen erforderlich ist. Allerdings gibt es einige Voraussetzungen dafür, dass das binokulare Sehen auch fehlerfrei vonstattengeht.

Was sind die Voraussetzungen für binokulares Sehen?

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Binokularsehen ist eine funktionierende Netzhautkorrespondenz. Wenn das linke und das rechte Auge einen Gegenstand fixieren, dann wird dieser auf bestimmten Punkten auf der Netzhaut abgebildet. Diese Punkte müssen bei beiden Augen zusammenpassen (korrespondieren), damit ein einheitliches Bild entstehen kann. Natürlich muss auch eine fehlerfreie Übermittlung der Information, die beide Augen gewonnen haben, zum Gehirn erfolgen. Diese Übertragung passiert über die Nervenbahnen des Nervus opticus, des Sehnervs. Auch die Augenmuskeln leisten ihren Beitrag dazu, dass beide Augen auf das gleiche Objekt fokussieren können.

Was versteht man unter den drei Stufen des Binokularsehens?

Das räumliche Sehen kann erst dann entstehen, wenn drei Voraussetzungen erfüllt wurden. Man nennt sie auch die drei Stufen des Binokularsehens:

  • Simultansehen
  • Fusion
  • Stereopsis

Beim Simultansehen sehen das linke und das rechte Auge zur gleichen Zeit dasselbe Bild. Wenn das Gehirn die gewonnenen bildlichen Eindrücke zu einem einzigen Bild zusammensetzt, dann spricht man von Fusion. Wenn die Fusion ohne eine Störung abgelaufen ist, dann ist das Ergebnis eine dreidimensionale Wahrnehmung – also räumliches Sehen. Dabei kann das Gehirn durchaus kleinere Fehler in der Bildwahrnehmung der Augen ausgleichen, sodass sie später gar nicht bemerkt werden. Allerdings können verschiedene Faktoren diesen Vorgang stören oder sogar dafür sorgen, dass ein binokulares Sehen nicht möglich ist.

Welche Störungen können beim Binokularsehen auftreten?

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen dafür, dass Binokularsehen nicht oder nur teilweise möglich ist. Dann werden zum Beispiel Doppelbilder gesehen oder die Seheindrücke eines der beiden Augen vollständig unterdrückt. Manchmal sind die Ursachen vergleichsweise harmloser Natur. So können etwa eine unzureichende Beleuchtung oder auch Müdigkeit und die Erschöpfung der Augen die Wahrnehmung stören. Die meisten Menschen haben gewiss bereits einmal vor Müdigkeit doppelt gesehen. Daneben können aber auch ernstere Gründe für eine gestörte Binokularsicht bestehen. Dazu gehören beispielsweise:

  • Amblyopie (Unterdrückung des Seheindrucks eines Auges)
  • Anisometropie (beide Augen besitzen eine unterschiedliche Sehkraft)
  • Schielen
  • Störungen der Netzhaut
  • Störungen der Nervenbahnen
  • Störungen der Augenmuskulatur

Das sind nur einige der möglichen Gründe dafür, dass das Binokularsehen gestört oder verhindert wird. Sollte ein solcher Zustand auftreten, dann muss er auf jeden Fall untersucht und behandelt werden. Viele Dysfunktionen können durch verschiedene Methoden wieder ausgeglichen und die Fähigkeit zum Binokularsehen wiederhergestellt werden.

Wie können Störungen des binokularen Sehens ausgeglichen werden?

Die Maßnahmen, um ein gestörtes Binokularsehen wieder zu korrigieren richten sich nach der Art der Störung. Ist die Augenstellung beispielsweise nicht parallel, so kann diese etwa durch eine Operation wieder ausgeglichen werden. Allerdings ist nicht immer ein operativer Eingriff nötig. Das Schielen wird in der Regel schon im Kleinkindalter korrigiert – bereits deshalb, um Folgeerkrankungen zu vermeiden. Dabei muss unterschieden werden, ob das Schielen beispielsweise durch einen Defekt in den sensorischen Hirnarealen verursacht wird oder, ob der Grund in der Augenmuskulatur liegt. Wenn die Augen nicht die gleiche Sehkraft besitzen, dann sind eine Brille oder Kontaktlinsen die beste Lösung. Auch eine Amblyopiebehandlung findet in der Regel bereits im Kleinkindalter statt. Hier wird das nicht betroffene Auge zeitweise mit einem Pflaster abgeklebt, um die Leistung des anderen Auges zu verbessern. Bekommt das Kind eine Brille, so kann auch das entsprechende Brillenglas mit einer speziellen Mattfolie verklebt werden.

Binokularsehen im Überblick:

  • Binokularsehen bedeutet beidäugiges Sehen.
  • Ohne das Binokularsehen ist keine räumliche Wahrnehmung möglich.
  • Das Binokularsehen ist eine Leistung, die aus dem Zusammenspiel von Augen, Augenmuskulatur und Nervensystem erbracht wird.
  • Binokularsehen entsteht in drei Stufen: Simultansehen, Fusion und Stereopsis.
  • Binokulares Sehen kann durch verschiedene Faktoren wie Erschöpfung oder schlechte Beleuchtung, aber auch durch behandlungsbedürftige Störungen des Zusammenspiels von Augen, Muskeln und Gehirn beeinträchtigt werden.
  • In den meisten Fällen sind Störungen des Binokularsehens ohne Operation behandelbar.

Quellen:
http://www.fielmann-akademie.com/downloads/Kolloquium_30.pdf

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