Die Sehbahn (Tractus opticus)
Während das Auge auf Licht- und Farbreize reagiert, kann unser Gehirn nur elektrische Impulse verarbeiten. Um sehen zu können, benötigen wir dennoch beide Organe – wie funktioniert also die Kommunikation zwischen ihnen? Hier kommt die Sehbahn (auch Tractus opticus genannt) ins Spiel: Sie fungiert als neuronale Verschaltung und reicht von der Netzhaut bis in den Occipitallappen, das Sehzentrum des Gehirns.
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Vernetzung von Auge und Gehirn
Das Sehzentrum des Gehirns liegt im Occipitallappen, also im hintersten Teil des Großhirns. Alles, was das rechte Auge wahrnimmt, wird von der linken Gehirnhälfte verarbeitet und alles, was das linke Auge wahrnimmt, von der rechten Gehirnhälfte. Die Lichtreize, die auf die Linse treffen, müssen also nicht nur in elektrische Impulse umgewandelt, sondern auch an das überkreuzt liegende Ende des Gehirns weitergeleitet werden – und das in Sekundenbruchteilen. Diese anspruchsvolle Aufgabe übernimmt die Sehbahn – ein Begriff, mit dem mehrere Abschnitte innerhalb des Auges und des Gehirns zusammenfasst werden. Diese Abschnitte beinhalten sogenannte Neuronen, also auf Erregungsübertragung spezialisierte Zellen.
Die Sehbahn beginnt bereits auf der Netzhaut
Die ersten Verschaltungen beginnen bereits auf der Retina – dort nimmt die Sehbahn ihren Anfang: Die Stäbchen und Zapfen, also die lichtempfindlichen Sinneszellen der Retina, geben die Reize an das Innere der Netzhaut weiter. Der Impuls wandert dabei über verschiedene Zelltypen: Bipolare Nervenzellen, Horizontalzellen und amakrine Zellen sind für die Verschaltungen zuständig, während die Ganglienzellen als vollwertige Nervenzellen den Reiz in Richtung der inneren Netzhautoberfläche leiten. Dort sammeln sich die Axone, also die schlauchartigen Nervenzellfortsätze der Ganglienzellen, bei der sogenannten Papille – der Austrittsstelle des Sehnervs. Genau auf diesem Weg verlassen die elektrischen Signale die Netzhaut (und somit das Auge) und gelangen ins Gehirn.
Die Sehstrahlung bringt die Impulse ans Ziel
Der seitliche Kniehöcker verteilt die elektrischen Reize über die Sehstrahlung, die sich nun auf den letzten Weg Richtung primäre Sehrinde begibt. Sie wird auch visueller Cortex genannt und verarbeitet die Signale der Retina an fest zugeordneten, immer gleichen Regionen. Über 80 Prozent des Cortex widmen sich hierbei ausschließlich den Signalen aus der Fovea centralis, dem Zentrum des schärfsten Sehens innerhalb des Gelben Flecks. So wird sichergestellt, dass wir Objekte, die wir fokussieren, auch in bestmöglicher Auflösung sehen.
So sorgt die Sehbahn für blitzschnelle Reizübertragung
Im Gehirn verläuft die Sehbahn zunächst nahe an der Hirnbasis: Hier befindet sich das Chiasma opticum, der Ort, an dem sich die Sehnerven beider Augen kreuzen. Zehn Prozent Nervenbahnen enden an dieser Stelle bereits frühzeitig – zum Beispiel im Hypothalamus (einem Abschnitt des Zwischenhirns). Sie dienen non-visuellen Prozessen und steuern Kopf- und Augenbewegungen, den Tag-Nacht-Rhythmus oder den Pupillenreflex. Nach dieser Kreuzung spricht man nicht mehr vom Sehnerv, sondern allgemeiner vom Sehtrakt, der sich in Richtung Hinterkopf fortsetzt. Die restlichen 90 Prozent der Sehbahn-Axone führen dann zum sogenannten seitlichen Kniehöcker, wo die erste und einzige Verschaltung außerhalb der Netzhaut stattfindet. Diese Tatsache sowie die Ummantelung der Nerven mit schnell leitenden Myelinhüllen sorgen für die nahezu verzögerungslose Impulsübertragung. Rund 100 Millisekunden dauert es bei einem gesunden Menschen, bis sich die von der Netzhaut erfassten Lichtreize auf der Sehrinde widerspiegeln.
Bestimmte Krankheiten beeinträchtigen den Verlauf der Sehbahn
Bei manchen Krankheiten werden einige Nervenfasern der Sehbahn fehlgeleitet. Albinismus beispielsweise führt dazu, dass die rechte Hirnhälfte nicht nur Informationen aus dem linken Auge, sondern zusätzlich auch einen Anteil der Signale aus dem rechten Gesichtsfeld erhält. Aus dieser eigentlich falschen Zusatzinformation erstellt die Sehrinde jedoch trotzdem ein geordnetes Abbild und kombiniert beide entstandenen Bilder richtig. Das heißt, Signale aus den irregeleiteten Zellen werden nicht einfach vom korrekten Bild überlagert, sondern fließen in das Gesamtbild mit ein. Der Teil des betroffenen Gesichtsfeldes ist also nicht blind – ein Beweis für die Flexibilität des menschlichen Sehapparates.
Quellen
Andreas Berke: Biologie des Auges. Mainz: WVAO, 1999 (2. Auflage).
Albinismus – Sehnerven auf Abwegen, Universitäts-Augenklinik Magdeburg
Die zentrale Sehbahn (PDF), doz-verlag.de